Als im Jahr 1882 die Stadtväter Osnabrücks beschlossen den Regenwassersammler im Bereich des heutigen Erich-Maria-Remarque-Rings zu bauen und 1916 in die Turnerstraße zu verlängern, dachte noch niemand daran, dass man sich rund 140 Jahre später Gedanken über eine Instandsetzung machen muss. Doch der Zahn der Zeit und der zweite Weltkrieg nagten derart an der Kanalsubstanz, dass eine turnusmäßige optische Inspektion den dringenden Sanierungsbedarf an dem gemauerten Eiprofil offenbarte. Nach Abwägung aller Randbedingungen entschied sich die SWO Netz GmbH – eine 100%ige Tochter der Stadtwerke Osnabrück AG – auf Grundlage der Planungen von Bockermann Fritze IngenieurConsult GmbH aus Enger, für eine Sanierung mit einem Schlauchliner. Den Auftrag für den Einbau der insgesamt vier Synthesefaserliner mit Warmwasserhärtung in den Dimensionen 700/1050 und 900/1350 erhielt als wirtschaftlichster Anbieter die Aarsleff Rohrsanierung GmbH, Niederlassung Münster.
Im Wandel der Zeit
Der Bau der ersten Kanalisationen in Deutschland begann in den 1850er Jahren in Hamburg. Es folgte Berlin im Jahr 1875. Somit gehört der Regenwassersammler im Erich-Maria-Remarque-Ring in Osnabrück mit zu den ältesten Kanalisationsbauwerken Deutschlands. Eine Besonderheit, die Dipl.-Ing. Malte Nowak, Bockermann Fritze IngenieurConsult, zu schätzen weiß: „Es ist schon außergewöhnlich, dass man an der Sanierung solch alter Bauwerke mitarbeiten darf. Die alten Kanäle zeugen von großer Handwerkskunst und haben die Grundlage für die Siedlungsfähigkeit unserer Städte geschaffen.“ Im Laufe der Zeit veränderte sich das Umfeld rund um den Sammler, der parallel zur durch Osnabrück fließenden „Hase“ errichtet worden war: Die Bebauung nahm zu und heute verläuft der Kanal unter einem Hauptverkehrsknotenpunkt in direkter Nähe zum Altstadt Bahnhof unter dem Erich-Maria-Remarque-Ring, kreuzt die Hansastraße und führt in die Turnerstraße. Von dort unterdükert er die Hase und mündet in einen weiteren Sammler, der das Abwasser schließlich zur Kläranlage ableitet.
Der Sache auf den Grund gegangen
„Für eine Sanierung war dies eine sehr ungünstige Lage“, beschreibt Ingo Kurz, zuständige Bauaufsicht der SWO Netz GmbH, die Ausgangssituation. „Als feststand, dass der Sammler saniert werden muss, haben wir Bockermann Fritze beauftragt, unterschiedliche Sanierungsverfahren hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit und Wirtschaftlichkeit zu prüfen.“ Als Ausgangspunkt dienten hier neben den Ergebnissen der optischen Inspektion auch weitergehende Untersuchungen mit Bohrkernentnahme zur Bestimmung der statischen Reststandsicherheit des Kanals und zu seinem genauen Aufbau. Alte Unterlagen gaben zwar Aufschluss darüber, welche Innenabmessungen der gemauerte Sammler hatte, aber die Wanddicke und die Materialeigenschaften der verwendeten Klinker waren unbekannt. Auch die Frage, ob sich hinter dem Mauerwerk eventuell noch Beton in der Bettungszone befindet, konnte mit den vorhandenen Plänen nicht beantwortet werden.
Ehrwürdige Gemäuer
Auf Grundlage der vorliegenden Untersuchungsergebnisse und unter Abwägung aller Randbedingungen, war schnell klar, dass eine Sanierung in offener Bauweise mit den dafür notwendigen Straßensperrungen nicht realisierbar war. Dagegen sprach auch die Tiefenlage des Kanals. „Mit einer Sohltiefe von 3,80 Metern wäre eine Menge Bodenmaterial zu bewegen gewesen“, ergänzt Kurz. Ebenso wurde in den Vergleichsstudien unterschiedlicher Sanierungsmöglichkeiten das GFK-Einzelrohrverfahren ausgeschlossen, da kein Platz für die notwendigen Baugruben vorhanden war. Mit einer Altrohrwanddicke von rund 28 Zentimetern, einer ausreichenden Reststandsicherheit, dem vorhandenen Schadensbild – Undichtigkeiten mit Grundwasserinfiltrationen und einem stark deformierten Teilstück – und dem normalen Eiquerschnitt stellte sich das Schlauchliningverfahren mittels Synthesefaserliner und Warmwasserhärtung als geeignetste, sinnvollste und vor allem auch wirtschaftlichste Sanierungstechnik heraus, die sich zudem in relativ kurzer Zeit ausführen ließ. Für die Verwendung eines Synthesefaserliner sprach neben den großen Haltungslängen auch die Tatsache, dass Bögen in dem Kanal vorhanden waren. Vor diesem Hintergrund bestand für den Einsatz eines Glasfaserliners, für dessen UV-Härtung eine Lichterkette durch den aufgestellten Liner gezogen werden muss, ein erhöhtes Risiko. Darüber hinaus war das infiltrierende Grundwasser unproblematisch beim Einbau der Synthesefaserliner. Zusammen mit den Verkehrsbedingungen, unter denen die Arbeiten stattfanden, ist Nowaks medizinischer Vergleich für dieses Verfahren nachvollziehbar: „Diese Sanierung stellt einen minimalinvasiven Eingriff in die Infrastruktur mit maximalem Ergebnis dar.“
Imposantes Gewicht
Insgesamt inversierte die Crew von Aarsleff vier Synthesefaserliner mit einer Gesamtlänge von rund 682 Metern. Die Härtung erfolgte mit Warmwasser. Dipl.-Ing. (FH) Johannes Leewe, Oberbauleiter der Aarsleff-Niederlassung Münster: „Die beiden großen Liner, die wir von der Baugrube am Erich-Maria-Remarque-Ring eingebaut haben, hatten schon eine eindrucksvolle Größe: Mit 247 Metern Länge in der Dimension 900/1350 und einer Wanddicke von 30 Millimetern wog der erste Liner knapp 45 Tonnen. Der zweite Liner war dann noch mal 25 Meter länger und hatte zudem einen Dimensionswechsel von 900/1350 auf 700/1050. Sein Gewicht betrug 49 Tonnen.“ Die anderen beiden Liner, die von der Turnerstraße aus verbaut wurden, waren mit 66 und 95 Metern und einer Wanddicke von 23 Millimetern in der Dimension 900/1350 dagegen mit 11 bzw. 16 Tonnen eher Leichtgewichte.
Im Rahmen der Vorarbeiten schenkten alle Beteiligten dem deformierten Abschnitt besondere Beachtung. Nowak: „An dieser Stelle haben die Steine ein anderes Format und auch der Verbund wich von dem restlichen Erscheinungsbild ab. Da dieser Bereich sich in der Nähe einer Brücke befindet, liegt die Vermutung nahe, dass eine Bombe den Kanal im zweiten Weltkrieg beschädigt hatte und dieser nach Kriegsende ausgebessert worden war.“ Um Beschädigungen des Liners während des Einbaus durch spitze Kanten zu verhindern, wurde die Fläche im Vorfeld egalisiert.
Unverhofft, kommt oft
Egal wie gut und detailliert eine Baustelle im Vorfeld ausgearbeitet und vorbereitet wird, manchmal wird der Bauzeitenplan von aktuellen Ereignissen kurzerhand über den Haufen geworfen. Ursprünglich sollten alle vier Liner hintereinander ab Ende 2021 eingebaut werden. Doch während die leichteren Liner 3 und 4 in der Turnerstaße verbaut wurden, durchkreuzte ein Wasserrohrbruch in der Hansastraße diese Planungen. So musste der Einbau der großen Liner 1 und 2 zunächst verschoben werden. Denn zwei Baustellen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander hätten ein Verkehrschaos auf dem stark befahrenen Stadtring ausgelöst.
Die Umstellung im Ablauf erforderte auf allen Seiten ein hohes Maß an Flexibilität und eine lösungsorientierte Kommunikation sowohl zwischen den einzelnen Beteiligten als auch teamintern. Zumal die Logistik, die hinter einer Schlauchlinersanierung steht, nicht zu unterschätzen ist, wie Leewe ausführt: „Die Liner werden speziell für den Anwendungsfall konfektioniert und gefertigt. Erst kurz vor dem Transport auf die Baustelle werden sie mit dem warmhärtenden Polyester-Harz imprägniert. Von dem Zeitpunkt an muss der Schlauchliner dann gekühlt werden, damit das Harz nicht vorzeitig auszuhärten beginnt. Der Transport auf die Baustelle erfolgt in der Regel mit Hilfe von Schwertransporten, die mit einer Sondergenehmigung meist nur nachts fahren dürfen.“ Alles in allem ist das ein umfangreicher Koordinierungsprozess, der eine gewisse Vorlaufzeit benötigt und wenn der Liner einmal imprägniert ist, nicht mehr so ohne Weiteres abgebrochen oder verschoben werden kann. Mit Aarsleff war in Osnabrück allerdings ein Unternehmen im Einsatz, das solche Herausforderungen lösungsorientiert meistern kann, da sowohl die Kollegen aus der Produktion, der Bauleitung und der Einbauanlagen über ein teilweise jahrzehntelanges Know-how verfügen und die Abstimmung auf dem „kurzen Dienstweg“ erfolgen kann. Das ist einer der Vorteile, wenn alles aus einer Hand geliefert wird. Und Nowak unterstreicht: „Aarsleff hat schnell und umsichtig auf die neue Situation reagiert und wir konnten den Einbau der restlichen beiden Liner problemlos verschieben.“ So konnte zunächst der Wasserrohrbruch repariert werden und die Sanierung des Regenwassersammlers ab Ende März 2022 erfolgreich fortgeführt werden.
Punktlandung trotz einiger Hindernisse
„Dass eine Maßnahme gelingt, ist darüber hinaus sehr davon abhängig, wie engagiert und fachlich kompetent das auf der Baustelle eingesetzte Personal ist“, so Nowak weiter. Seiner Einschätzung nach hat genau das alles in Osnabrück hervorragend funktioniert, sodass die Sanierung erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Dem stimmt Kurz zu: „Auch aus unserer Sicht ist die Sanierung insgesamt gut gelaufen. Sehr positiv war, dass Aarsleff auf die zeitliche Verschiebung des Linereinbaus im Erich-Maria-Remarque-Ring flexibel reagiert hat.“ Gerade in der Kanalsanierung ist eben nicht alles planbar und manchmal sind Spontanität und Improvisationstalent gefragt.
Dass die Sanierung ein voller Erfolg war, zeigte sich bei Ausführung der Schachtanbindungen. Kurz: „Aufgrund der Sanierung konnte kein Grundwasser mehr in den Sammler infiltrieren. In direkter Folge ist der Grundwasserspiegel gestiegen. Daher mussten für die Laminatarbeiten an den Schachteinbindungen einige abdichtende Injektionspacker gesetzt werden.“ Auch diese Herausforderung haben Leewe und sein Team vor Ort souverän gemeistert.